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Ausschnitt eines blauen Porzellanbuddhas

Zwischen Buzzword und Buddhismus

In den vergangenen Jahren ist Achtsamkeit geradezu in Mode gekommen. Das ist einerseits gut, weil sich immer mehr Menschen mit dem Thema beschäftigen und ihr Leben nicht mehr von äußeren Einflüssen abhängig machen wollen. Die berühmte Kehrseite der Medaille ist, dass Achtsamkeit in mancher Vorstellung zum erstrebenswerten Lifestyle geworden ist, der dazu führt, dass wir durch Selbstoptimierung leistungsfähiger werden, in kürzerer Zeit noch mehr schaffen  und dabei immer gute Laune haben - wie praktisch! Es lohnt daher ein Blick, was sich denn nun genau hinter Achtsamkeit verbirgt, was sie nicht ist und für wen sie sich eignet.

Achtsamkeit - der Versuch einer Definition

Was wir unter "Achtsamkeit" verstehen, geht auf 2.500 Jahre buddhistische Traditionen zurück. In Pāli, der Sprache, in der die Geschichten und Lehren des Buddha ursprünglich festgehalten wurden, heißt es sati und bedeutet soviel wie Bewusstheit, Aufmerksamkeit und Erinnern, wobei Bewusstheit und Aufmerksamkeit das meinen, was wir grundsätzlich darunter verstehen: das Wissen darum, dass etwas passiert und es aufmerksam  zur Kenntnis nehmen. Mit Erinnern sind weniger Gedanken an die Vergangenheit gemeint; es geht vielmehr darum, sich ständig zu erinnern, bewusst und aufmerksam zu sein. Wobei auch Vergangenes nur erinnert werden kann, wenn wir im Moment, der erinnert werden soll, bewusst und aufmerksam waren. Du siehst, es ist komplex. 

Was machen wir nun mit den Momenten, die wir bewusst und aufmerksam erlebt haben? Vor allem, wenn sie nicht nur angenehme Emotionen in uns hervorrufen? Achtsamkeit hilft uns, die Dinge so zu sehen, wie sie eben sind und ihnen gleichzeitig Akzeptanz und Gelassenheit entgegenzubringen. Das bedeutet nicht, dass wir teilnahmslos alles gutheißen, was uns widerfährt. Ganz im Gegenteil: es ist die Erkenntnis, dass neben Glück, Freude, Schönheit und Gesundheit auch Krankheit, Schmerz und Tod Teil unseres Lebens sind. Alles unterliegt stetigem Wandel, alles geht vorbei, das Gute wie das Schlechte. Diese Tatsache unterliegt keiner depressiven oder morbiden Lebenshaltung, sondern sie birgt die Möglichkeit, ein wahrhaftes Leben zu führen. 

Nach Jon Kabat-Zinn, dem "Begründer der modernen Achtsamkeit" und der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), handelt es sich bei Achtsamkeit um ein ganz einfaches Konzept, dessen Kraft in der praktischen Umsetzung und Anwendung liegt:

"Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen."
Jon Kabat-Zinn

Achtsamkeit zu praktizieren ist einfach, aber nicht leicht. Es sind keine großen Vorbereitungen nötig, es muss nichts angeschafft werden, wir müssen noch nicht mal die Glaubensrichtung wechseln. Es geht dabei schlicht darum, den gegenwärtigen Moment, in dem wir uns  befinden, bewusst wahrzunehmen, ihn zu beobachten und zu erforschen, ohne zu analysieren, etwas verändern zu wollen oder an etwas festzuhalten. Die formale (unterschiedliche Meditationsarten) und die informelle (Achtsamkeit im Alltag) Praxis ermöglichen uns ein Leben in Gelassenheit und Freude, Langeweile verschwindet und alles wird lebendig. Nicht überraschen dürfte, dass dazu ein gewisses Maß an Bemühung und Disziplin notwendig ist, schließlich sind unsere alltägliche Unaufmerksamkeit sowie unreflektierte Verhaltensmuster ausgesprochen hartnäckig und widerstandsfähig.

 

Während der Meditation oder verschiedenen Achtsamkeitsübungen kann es dazu kommen, dass unangenehme Erinnerungen, schwierige Empfindungen oder körperliche Schmerzen auftauchen. Wir bewegen uns immer wieder aus unserer Komfortzone hinaus, halten einen kleinen Zeh in die Erfahrung und versuchen, die Empfindung zu halten und vergrößern somit den Spielraum, in dem wir handlungsfähig bleiben. Es gibt jedoch Situationen im Leben, in denen wir aus unterschiedlichen Gründen professionelle Hilfe benötigen. Gerade bei akuten Depressionen, Burn-out, Angststörungen oder Suchterkrankungen sollte eine fachkundige Behandlung in Anspruch genommen werden. 

"Achtsamkeit und Meditation ersetzen keine Therapie, wirken jedoch zutiefst therapeutisch."

Mittlerweile werden mit einem achtsamen Leben viele weitere Aspekte verbunden: Dankbarkeit, Entschleunigung, Mental Health, Nachhaltigkeit, Resilienz, Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl uvm. Eine allgemeingültige Definition ist vielleicht gar nicht nötig; Achtsamkeit verbindet Handlungsweisen, die uns in unserer schnellen, unbeständigen und komplexen Welt helfen, ein gutes Leben zu führen. Für manche ist das ein heißes Bad, ein Nachmittag im Park, das Absagen einer Verabredung oder der Gang zur Therapie. Voraussetzung jeweils ist die bewusste Entscheidung und das aufmerksame Erleben im jeweiligen Moment. 

Regelmäßiges Meditieren macht uns übrigens nicht automatisch zu besseren Menschen, kommt es doch auf die Absicht und die innere Haltung an. Wer Meditation als pure Wellness versteht, Gemeinheiten und Gehässigkeiten unter dem Deckmantel der Wahrheit ausspricht, nur dem nächsten Mental-Health-Trend hinterherläuft, sich erhaben durch ein vermeintlich achtsames Leben fühlt, ist sicherlich meilenweit von wahrer Achtsamkeit, Güte und Mitgefühl entfernt. Die Frontsängerin der Band Wir sind Helden hat das in einem Interview mal so zusammengefasst:

"Du kannst 100 Stunden meditieren und trotzdem ein Arsch sein!" 
Judith Holofernes

Abschließend lässt sich wohl sagen, dass Achtsamkeit eine individuelle und ganz persönliche Angelegenheit ist und nicht für alle das gleiche bedeutet. Sie ist kein statischer Aspekt eines Lebens auf dem Weg zum Perfektionismus; eher beständig im Wandel und doch immer präsent. Mach dich auf deinen eigenen Weg und finde es selbst heraus.

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